Wir trauern um Rolf Abrahamsohn
Wir erinnern uns
Rolf hat Unfassbares erlebt: Diskriminierung, Enteignung, Gewalt, Tod und Vertreibung. Seine eigentlich sehr schöne und glückliche Kindheit wurde spätestens 1938 mit sehr gewaltvollen Erlebnissen und der Festnahme seiner gesamten Familie während der Novemberpogrome zerstört. Bis auf ihn überlebte niemand. Rolf erlebte bereits als Jugendlicher schwerste Zwangsarbeit und schließlich Deportationen in sechs Konzentrations- und Arbeitslager. Am Ende des Krieges war er nur noch Haut und Knochen – er habe nicht einmal mehr seinen eigenen Namen gewusst, so sagte er uns im Interview.
Und dennoch gelang ihm das Unfassbare. Rolf überlebte den Holocaust und er ließ sich nicht unterkriegen. Im Gegenteil: Trotz anhaltendem Antisemitismus in Deutschland auch über 1945 hinaus, gründete er eine Familie, ein eigenes Unternehmen und setzte sich unermüdlich für Andere und für jüdisches Leben ein. Er war Träger vieler hochrangiger Verdienstorden, Spender für wohltätige Zwecke in Israel und in Deutschland und Unterstützer für viele Menschen und Familien, die in der Region Ruhr eine Heimat suchten. Obwohl ihn stets Alpträume und Flashbacks plagten, erzählte er unermüdlich insbesondere Kindern und Jugendlichen, aber auch Erwachsenen und vielen Polizeianwärter*innen seine Geschichte. »Die Verantwortung gegenüber den Toten hast Du« – so erzählte er uns. Nie konnten wir ihm diese Schwere nehmen, aber wir machten es uns zur Aufgabe ihn zumindest dabei zu unterstützen.
Unser Kennenlernen
Ich werde nicht vergessen, wie es war, Rolf im Frühjahr 2012 kennenzulernen. Damals trafen wir uns für ein Interview im Jüdischen Museum Dorsten. Diesem Treffen gingen mehrere Telefonate voraus, in denen ich Rolf uns und unser Anliegen vorgestellt habe. Ich war wahnsinnig aufgeregt, denn zuvor hatte ich viel über Rolf gelesen und hatte eine unfassbare Ehrfurcht vor diesem Menschen, der soviel Leid erlebt hatte. Die Telefonate mit ihm waren für mich eine große Überraschung: Rolf war offen für unser Anliegen, ließ sich auf ein Kennenlernen ein und nahm mir im Gespräch jegliche Scheu. Mit Humor und einer großen Portion Ironie lockerte er unsere Gesprächssituationen auf – was haben wir bei diesen ersten Telefonaten über gegenseitig erzählte Witze gelacht! Es war einfach nur herrlich und wir waren uns gleich sympathisch. Schließlich trafen wir uns für das Interview – nicht wie anderen ZWEITZEUGEN-Interviews in Privaträumen, sondern zunächst im Jüdischen Museum Dorsten, einen Ort den er mit aufgebaut und in dem er sich stets sehr wohl gefühlt hatte. Gemeinsam mit Sarah Hüttenberend fuhr ich hin und dieses Interview… es ging so unter die Haut! Wir redeten stundenlang und wann immer es für ihn zu schwer wurde, verhalf er sich (und auch uns) mit einem Witz. Dies war kein Zufall, Rolf erklärte uns im Interview, dass er dies bewusst auch in seinen Vorträgen vor Kindern und Jugendlichen machte: »Und wenn ich mal einmal nicht kann, also wenn mir mal die Tränen so halb runter kommen, erzähl ich den Kindern irgendeinen kleinen Witz, dann kann ich wieder.«
Trotz der Schwere des Gesprächs verließen wir gemeinsam lachend und noch über verschiedene Anekdoten philosophierend das Museum. Doch als Sarah und ich schließlich im Auto saßen und ich versuchte die Kupplung zu treten und loszufahren, da überkam es mich plötzlich: die Schwere des Gehörten. Sarah und ich saßen einfach da, ließen Tränen und auch Wut über das Geschehene freien Lauf. Es dauerte, bis wir losfahren konnten.
Rolf sagte immer, was er erzähle, sei nur ein bisschen, aber das reiche schon. Ich kann mir garnicht vorstellen was dieser besondere Mann noch alles hat ertragen müssen.
Wir wurden zu Rolfs Zweitzeug*innen
Aus unserer ersten Begegnung folgte das, wofür ich einfach nur dankbar bin: der Aufbau einer Freundschaft. Bis zu seinem Tod standen wir in regelmäßigem Kontakt. Ich besuchte ihn auch mit meinen Kindern, denn Rolf liebte Kinder. Und Rolf liebte es, von unserer Arbeit zu hören. Hunderte von Briefen haben ihn von Kindern und Jugendlichen erreicht – sie machten ihn stolz. Er sah noch, wie wir seine Geschichte digital aufbereiteten (werde-zweitzeuge.de) und wie wir in unserer ersten Outdoor-Ausstellung in Dortmund an ihn erinnerten. Immer wieder fragte er nach unseren Teammitgliedern, nach unseren Erlebnissen in den Klassenräumen und Bildungsprojekten. Wenn er hörte wie wieder Kinder oder Jugendliche auf seine Geschichte reagierten und diese selbst weitererzählen, dann strahlte er von Wange zu Wange.
Rolf hat für so viele Menschen in unserem Verein und darüber hinaus einen so großen Unterschied gemacht. Er hat viele, viele Zweitzeug*innen hervorgebracht. Als ihm einmal die Kraft für sein vielfältiges Engagement verließ da sagte ein Rabbiner zu ihm:
»Abi, gib die jüdische Gemeinde auf, das gib auf, das gib auf und das gib auf. Aber wenn Schüler dich suchen, dann geh hin. Und wenn du von 50 Kindern nur einen davon überzeugst, dass Juden nicht schlechter sind wie die Christen, dann hast du viel erreicht.«
Genau diesem Rat ist er stets gefolgt und hat immer wieder uns und auch sich selbst an diese Worte erinnert. Sie waren seine Motivation und sie wurden es auch für uns.
Wir können Rolf Abrahamsohn und seiner Familie nicht oft genug danken. Für das Vertrauen, für die vielen Gespräche und die besonderen Momente die wir miteinander teilen durften. Möge er in Frieden ruhen. Das wünschen wir Rolf von Herzen. Frieden (und das Engagement dafür), war das, was er sich von unserer Generation wünschte. Wir sind seine Zweitzeug*innen und werden alles daran setzen, dass noch unzählig viele weitere Menschen zu seinen Zweitzeug*innen werden und hoffentlich für ein friedvolles Miteinander eintreten.