In Erinnerung an Hannah Pick

Wir trauern um Hannah Pick. Die Zeitzeugin ist am 28.10.2022 im Alter von 93 Jahren in Jerusalem gestorben. ZWEITZEUGEN e.V. durfte Hannah vor vielen Jahren interviewen, um ihre Geschichte zu dokumentieren und weiterzutragen. Seitdem erzählen wir ihre Geschichte. Hier erinnern sich drei Ehrenamtliche an ihre Begegnungen mit Hannah.

Hannahs Geschichte

Hannah Goslar wurde 1928 in Berlin geboren. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialist*innen emigrierte die Familie von Hannah nach Amsterdam. Dort lernte sie Anne Frank kennen und besuchte mit ihr die Schule. Im Juni ’43 wurde ›Hanneli‹, wie sie von Anne in ihrem Tagebuch genannt wird, zusammen mit ihrem Vater, ihren Großeltern und ihrer jüngeren Schwester Gabi von der Gestapo verhaftet, nach Westerbork und anschließend nach Bergen-Belsen deportiert. Dort traf sie ihre Jugendfreundin im März ’45 kurz vor deren Tod wieder. 

Über das Lager sagte Hannah: »Es war besser als in den anderen Lagern: Wir wurden nicht tätowiert, wir wurden nicht kahl geschoren, uns wurden nicht die Pakete abgenommen, wir durften unsere eigene Kleidung anziehen und es wurde nicht getötet. Sie sehen, man muss sich schon für komische Sachen bedanken.«

Hannah wurde zusammen mit anderen Anfang April ’45 in den Verlorenen Zug gepfercht und überlebte nach einer zehntägigen Irrfahrt mit ihrer Schwester durch Deutschland schließlich den Holocaust. Bis zu ihrem Tod lebte sie als Teil einer großen und liebevollen Familie in Jerusalem, der Heimat ihres Glaubens und ihrer Wahl.

Nach unserem Interview besuchten wir Hannah noch mehrere Male und blieben mit ihr durch Telefon und Internet in Kontakt, hiervon berichten im Folgenden Ehrenamtliche von ZWEITZEUGEN e. V.:

Franzi: 

Ich habe Hannah 2018 und 2019 in ihrem Zuhause in Jerusalem besuchen dürfen. Dabei erinnere ich mich besonders gerne daran zurück, dass bei jedem Besuch Teile ihrer großen Familie vorbeikamen; ihre Schwester, Kinder, Enkelkinder. Hannah sagte uns, dass sie eigentlich jeden Tag solche spontanen Besuche bekommt. Familie war für Hannah besonders wichtig, so erwähnte sie immer wieder, dass jedes weitere Kind in der Familie ein Schlag gegen Hitler ist. Denn dadurch, dass sie überlebt hat, konnten ihre drei Kinder, elf Enkel und 31 Urenkel auf die Welt kommen.
Hannah hat uns auch bei jedem Besuch mit vielen Leckereien verwöhnt. Besonders lecker waren die selbstgebackenen Tahin-Kekse. Daher habe ich mir auch direkt das Rezept geben lassen, welches sie mir noch netterweise vom Hebräischen ins Deutsche übersetzt hat. Jedes Mal wenn ich die Kekse nachbacke, denke ich an den Besuch bei ihr zurück.
Ich bin dankbar, dass ich Hannah persönlich kennenlernen durfte und dass sie uns in ihr Leben gelassen und uns ihre Lebensgeschichte anvertraut hat.

2018 besuchten Wiebke, Julia, Verena und Franzi (v.l.n.r,) Hannah in Jerusalem. Ihre Tochter Ruth und ihre Enkeltochter Tali leisteten uns Gesellschaft.
Hannah freut sich über die Briefe von Schüler*innen, die wir ihr mitgebracht haben
Julia, Franzi und Ida (v.l.n.r.) mit Hannah und ihrer Tochter Ruth (ganz links) bei unserem Besuch in 2019

Janika:

Ich habe Hannah nie persönlich getroffen und dennoch habe ich das Gefühl, dass ich sie etwas kennenlernen durfte. Über Jahre hinweg schrieben Hannah und ich Mails, WhatsApp-Nachrichten und telefonierten. Das lag daran, dass ich Hannahs offizielle Kontaktperson des Vereins war und sie mir oft E-Mails schrieb, um sich für die Briefe der Schüler*innen aus Deutschland zu bedanken oder mich bat Grüße und Lob an das gesamte Team für unsere Arbeit auszurichten. Hannah war sehr fit im Umgang mit dem Internet - nur selten war die gesamte E-Mail in der Betreffzeile zu finden.

Auch wenn sie sehr beschäftigt war, bot Hannah uns an, dass wir sie aus den Schulklassen heraus anrufen können, damit die Schüler*innen sie befragen können – und sie entschuldigte sich sogar dafür, dass sie nicht auf jeden einzelnen Brief antworten konnte (was wir niemals von ihr erwartet hatten.) Hannah war sehr wertschätzend und voller Lob, wenn Schüler*innen ihr Zeichnungen schickten oder lange Briefe – sie freute sich über jede*n einzelne*n.

Vor allem während der Corona Pandemie blieb Hannah - auch dank ihrer großen Familie – sehr genügsam und informierte mich immer über ihren aktuellen Impfstatus und die Situation in Israel. Zuletzt wurde ein Netflix-Film über Hannahs Geschichte und Hannahs und Anne Franks Freundschaft  auf Netflix gezeigt. Hannah und ihre Tochter Ruth riefen mich an, um mir Bescheid zu sagen, und Hannah bat mich, ihr danach zu sagen, was ich über den Film denke. Nachdem ich den Film angeschaut hatte, rief ich sie wieder an und sie berichtete mir ganz genau was ›Unsinn‹ war und was genau so passiert war oder zumindest realistisch dargestellt. Auch dieses Jahr arbeitete Hannah noch unermüdlich, unter anderem an einem Buch. Beinahe jedes Telefonat beinhaltete die Bestätigung, dass es den 30 Enkel*innen gut geht. Sie war sehr stolz auf ihre große Familie, auf Israel und ihr Leben nach 1945.

Hannah mit ihrer Tochter Ruth, ihrer Enkeltochter Tali und ihrem Ur-Enkelkind bei unserem Besuch in 2019

Katharina: 

Ich erinnere mich an ein Telefonat zwischen Hannah und einer Schulklasse. Ich hatte das initiiert und vorbereitet. Im Gespräch waren die Schüler*innen einfach sehr schüchtern. Sie haben recht leise gesprochen und waren ganz vorsichtig. Da kam Hannah ganz nah ans Video heran und sagte: »Hat man euch denn nicht gesagt, dass ich alt bin? Ihr müsst viel energischer sein! So wird man nichts im Leben. Los, fragt. Was wollt ihr wissen?« Die Jugendlichen waren kurz etwas erschreckt, aber es hat gewirkt. Und ich fand das sehr passend zu Hannah. Energisch, ungeduldig, aber dabei freundlich.

Kennenlernen, Erinnern, Weitergeben

Hannah Picks ganze Geschichte für Zuhause

Das ganze Interview und alles zum Leben von Hannah Pick findest Du im Ausstellungskatalog. Wir durften die Zeitzeugin in ihrem Zuhause besuchen und zu ihrer persönlichen (Über)Lebensgeschichte befragen. Wir übernehmen damit einen Teil der Verantwortung, die Erlebnisse der Zeitzeug*innen »Gegen das Vergessen« zu bewahren.

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