Grete Hamburg
Kurzbiografie
Grete Hamburg, geb. Jungleib, wurde am 1. Januar 1930 in Hlohovec in der Slowakei geboren. Ihr Vater Arnold war Goldschmied und Uhrmacher, ihre Mutter Malvina arbeitete im Geschäft mit. Die Kindheit in der frommen jüdischen Familie war glücklich, das Verhältnis zum jüngeren Bruder Walter sehr eng.
Unter dem Druck der Judenverfolgung zog die Familie ab 1942 mehrfach um. 1944 wurde sie mit ihrer Familie verhaftet, ins Durchgangslager Sered in der Westslowakei gebracht und nach Auschwitz deportiert. Gretes Großeltern und ihr Vater überlebten die Lager nicht. Grete und ihre Mutter leisteten von November 1944 an in einer Munitionsfabrik in Lippstadt [Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald] Zwangsarbeit und wurden Anfang Mai 1945 von der US-Armee befreit. Bei der Auswanderung nach Israel lernte sie ihren Mann kennen, mit dem sie zwei Kinder hat, Daniella und Rami.
Grete Hamburg lebt heute in der Nähe von Tel Aviv. Erst 2015 wurde der Verbleib ihres Bruders Walter Jungleib mithilfe der Eheleute Bella und Yitzhak Reichenbaum aus Haifa geklärt: Er wurde in der Nacht zum 21. April 1945 im Hamburger Schulgebäude Bullenhuser Damm [Außenlager des KZ Neuengamme] von SS-Männern erhängt – ebenso wie 19 weitere Kinder.
»Das ist schwer zu reden, mit deinen Kindern, was man mit den Eltern gemacht hat. Ist schwer.«
Ein Bild zum Weiterleben
Grete Hamburg hat nach all den Schrecken, die sie und ihre Familie erlebt haben, die Zeit nach dem Krieg und die Auswanderung nach Israel mit einer positiven Einstellung gemeistert. Und das liegt an der sehr liebevollen Familie, die sie gemeinsam mit ihrem Mann gegründet hat und die wir bei unserem Interview als starke Stütze für Grete erleben durften. Besonders die Beziehung zu ihren Enkeltöchtern ist sehr eng und bedeutet Grete viel.
Gretes Geschichte in unserem Podcast ›Geschichten, die bleiben‹
Hörtipp: Folge #8 Christina & Grete: Eine Geschichte von kleiner und großer Hilfe. Tauche ein in Gretes Leben und lass Dir von Christina ihre Lebensgeschichte erzählen.
Unsere Begegnung
Walter und Grete, die Geschichte der Geschwister lässt mich mit Erschütterung zurück. Durch sie wird erfahrbar, dass das Zeugnis des Über- und Weiterlebens immer auch auf die unzähligen Kinder, Frauen und Männer verweist, die die Verbrechen nicht überlebten. Ich kann und will nicht verstehen, dass ein erwachsener Mensch auf diese brutale Weise einen jungen Menschen umbringen kann. Der Mord an den Kindern vom Bullenhuser Damm übersteigt meine Vorstellungskraft, übersteigt das, was ich zur Sprache bringen kann. Und ich kann mir nicht vorstellen, was es heißen muss, nach all diesen Jahren über die Ermordung des eigenen Bruders Gewissheit zu haben. Wie die Kraft aufbringen, über all das zu sprechen? Grete hat es getan und ich bin dankbar dafür.
Am Tag vor unserem Interview luden uns Grete und ihre Tochter zum ›Business Lunch‹ in ein loftartiges hippes Restaurant ein. Es war das Tel Aviv von 2019, in dem wir Grete das erste Mal trafen. Tätowierte Kellner*innen servierten riesengroße Pizzen, priesen die gigantischen Torten an und Loungemusik begleitete unsere Gespräche. Obwohl Grete Hamburg selbst nicht viel sprach und die Szenerie eher wach beobachtete, wurde nach einem perfekt choreographierten Gerangel um die Rechnung klar, wer hier das Familienoberhaupt ist.
Grete Hamburg selbst nahm uns dann auch am nächsten Morgen am Bahnhof in Empfang. Das Gespräch fand in der Wohnung des Sohnes und seiner Frau statt. Die Tochter war ebenfalls dabei und zwei Enkeltöchter kündigten sich für später an. Schnell füllte sich der Tisch mit Shakshuka, Salaten und Brot. Noch bevor also das Gespräch begonnen hatte, waren wir mittendrin in dieser besonderen familiären Atmosphäre. Diese Atmosphäre beeindruckte mich auch deshalb so, weil sie mir eine der wichtigen emotionalen Stützen Gretes in den verletzlichsten Momenten zu sein scheint. Eine Ahnung davon, wie schwer Grete das Gespräch gefallen sein muss, haben kleine Gesten erahnen lassen. Während sie sprach, zog sie mit ihren Fingern immer wieder die Bügelfalte ihrer Hose nach. Auf das Gespräch, das wurde schnell klar, hatte sie sich vorbereitet. Sie entschied, worüber wir sprachen und auch, wann das Gespräch für eine Zigarettenpause unterbrochen werden sollte.
Das Tel Aviv von 2019, die Frau mit einer Zigarette in der Hand am Bahnhof, der Tisch voller Essen, der Balkon voller Menschen unterschiedlicher Generationen, Momente von Herzlichkeit und Gemeinschaft - das alles sind Eindrücke, die ich von Grete Hamburg und ihrer Familie in Erinnerung behalten werde. Die Brutalität in der Geschichte von Walter und Grete Jungleib bleibt für mich weiterhin unvorstellbar und ich habe einen Eindruck von einer Person bekommen, die beide Seiten von Kraft und Verletzlichkeit mit allen Herausforderungen und Unmöglichkeiten in sich vereint.
Kennenlernen, Erinnern, Weitergeben
Grete Hamburgs ganze Geschichte für Zuhause
Das ganze Interview und alles zum Leben von Grete Hamburg findest Du im Interview-Magazin. Wir durften die Zeitzeug*innen in ihrem Zuhause besuchen und zu ihrer persönlichen (Über)Lebensgeschichte befragen. Wir übernehmen damit einen Teil der Verantwortung, die Erlebnisse der Zeitzeug*innen ›Gegen das Vergessen‹ zu bewahren. Das gesamte Interview und alles rund um die Geschichten fassen wir unseren Magazinen zu jeder einzelnen Geschichte zusammen.