Micha Schliesser
Kurzbiografie
Als Micha Schliesser mit seinen Eltern im Februar 1939 aus Berlin floh, war er noch nicht einmal ein Jahr alt. Die Familie hatte die Hoffnung, über Rotterdam weiter in die USA zu reisen, wurde jedoch an der deutsch-niederländischen Grenze festgehalten und verhaftet. Nach mehreren Monaten in den Flüchtlingslagern nahe Rotterdam und Amsterdam kamen sie im Februar 1940 schließlich in das Lager Westerbork, das wenig später Ausgangspunkt für Deportationen in die Vernichtungslager war. Dort verbrachte Micha ganze fünf Jahre seiner Kindheit und musste unter anderem miterleben, wie seine Freund*innen nach und nach mit dem Zug verschwanden und niemals wiederkehrten. Doch Micha und seine Eltern konnten den Deportationen entkommen und überlebten das Lager als eine von wenigen.
Nach der Befreiung begann für den Siebenjährigen der schwierige Schritt in ein ‚normales‘ Leben, das ihm aufgrund seiner frühen Flucht- und Lagererfahrung bislang verwehrt geblieben ist: Die Normalität? Das war für ihn das Lager Westerbork! In Amsterdam ging er zunächst zur Schule und fasste dann – genau wie seine Eltern – erfolgreich in der Modebranche Fuß. Bis zu seinem Todwar er regelmäßig in Schulen unterwegs, um seine Geschichte weiter zu tragen. Sein Appell an die nachfolgenden Generationen: »Ich wünsche mir, dass ihr lernt in Frieden mit den anderen zu leben«.
Micha Schliesser verstarb im Februar 2018. In unserem Nachruf erinnern wir uns an ihn und werden ihn sehr vermissen.
»Ich wünsche mir, dass ihr lernt, in Frieden mit den anderen zu leben.«
Ein Bild zum Weiterleben
Auf die Frage, was ihm geholfen hat nach dem Krieg weiterzumachen, erzählte uns Micha Schliesser die Geschichte über eine Fortbildung zum Thema »Wie geht man mit der Umwelt um und wie geht man mit sich selber um«. Mit 58 Jahren, nachdem er aufgehört hatte zu arbeiten, begleitete er einen Freund zu dieser Fortbildung. Dort lernte er zum ersten Mal, dass es okay ist über die schlimmste Zeit seines Lebens nachzudenken, Gefühle zuzulassen und darüber zu reden. Letzteres war das Ausschlaggebende, was ihm weitergeholfen hat. Er hatte vorher nie wirklich über diese Zeit gesprochen und auch seine Kinder kannten nicht seine ganze Lebensgeschichte. Durch die Fortbildung hatte Micha die Angst davor verloren, Gefühle zuzulassen, da er gemerkt hatte, dass ihm nichts passieren kann, außer, dass er vielleicht weinen muss. Micha Schliesser sagte, dass dies sein Leben stark verändert hat. Als Kommentarbild haben daher wir den Titel der Fortbildung von ihm handschriftlich aufschreiben lassen.
Unsere Begegnung
Mit Blumen für Eva und Käsekuchen für Micha im Gepäck trafen wir die beiden Freund*innen in Evas Wohnung. Ihre Vertrautheit und ihr Umgang untereinander machten Spaß, wobei sich Micha den ein oder anderen frechen Spruch nicht entgehen ließ.
Eva hatte uns im Vorfeld gebeichtet, dass Micha für Käsekuchen töten würde. Umso gespannter war ich, als Micha, der sich als kritischer Käsekuchen-Koster herausstellte, meinen selbstgebackenen Kuchen kostete. Er habe schon viele Käsekuchen gegessen. Erst letzte Woche habe er einen fürchterlichen Kuchen geschenkt bekommen. Doch ich schien die Prüfung bestanden zu haben: Der Kuchen schmeckte!
Viel mehr jedoch freute ich mich über Michas Offenheit und seine Einladung, Zeug*innen seiner Geschichte zu werden. Mir erschien es unvorstellbar, die Selbstverständlichkeiten einer Kindheit nicht erleben zu können: Spielzeug zu haben, Süßigkeiten zu essen, die Welt zu entdecken. Dies alles blieb Micha in seiner Kindheit verwehrt. Trotz seiner schlimmen Erfahrungen habe ich Micha als einen sehr schlagfertigen, humorvollen, witzigen und optimistischen Menschen erlebt, der keine Diskussion scheute.
Kennenlernen, Erinnern, Weitergeben
Micha Schliessers ganze Geschichte für Zuhause
Das ganze Interview und alles zum Leben von Micha Schliesser wird bald als Interview-Magazin veröffentlicht. Aktuell arbeiten wir noch daran. Wir freuen uns sehr, wenn Du uns mit einer Spende unterstützt, damit wir das Magazin bald drucken können: