Ein wunderbarer Rückblick und eine spannende Aussicht
Vom 23. bis 27. April 2018 fand unsere Ausstellung zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus für fünf Tage zu Gast in Hildesheim statt.
Studierende der Erziehungswissenschaft an der Universität Hildesheim haben die Ausstellung in den studentisch geführten Veranstaltungsort &Büro mitten im Stadtzentrum Hildesheims geholt. Als ihre Dozentin durfte ich die Studierenden dabei über sieben Monate begleiten. Sie erarbeiteten das Ausstellungskonzept, suchten nach geeigneten Räumlichkeiten, organisierten die Bewerbung, nahmen Kontakt mit Schulen und Jugendgruppen auf und stellten ein beeindruckendes und spannendes Begleitprogramm zusammen. Und so konnten wir über einen sehr kurzen Zeitraum viele unterschiedliche Menschen erreichen und zu einem Dialog einladen. Dazu aber gleich mehr.
Neun Studierende starteten im Oktober 2017 mit der Idee, in Hildesheim eine Veranstaltung zu organisieren, um an die Verbrechen des Nationalsozialismus zu erinnern. Sarah Hüttenberend besuchte unser Seminar und stellte die Arbeit von ZWEITZEUGEN e.V. vor. Die Gruppe war beeindruckt von der Vereinsgeschichte. Schließlich hat auch die Arbeit von ZWEITZEUGEN e.V. mit einem Studierendenprojekt begonnen. Und so entschieden sie sich, die Ausstellung des Vereins nach Hildesheim zu holen und ihr mit einer ganz eigenen Idee einen Rahmen zu geben. Als Dozentin war es meine Motivation, das Engagement von Studierenden sichtbar zu machen, sie zu ermutigen sich einzubringen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich auszuprobieren – für all das steht für mich auch die Arbeit von ZWEITZEUGEN e.V.. Und meine Seminargruppe tat es auf beeindruckende Weise.
Mit dem &Büro wählte das Seminar einen intimen Raum und gaben der Ausstellung mit der Kuration ein ganz neues Gesamtbild. Fragen beim Eintritt des erstens Raums regten zum Nachdenken an: „Was hat mich dazu bewogen, in die Ausstellung zu gehen?“ „Welche Fragen würde ich den Überlebenden stellen?“ Die Briefwolke über dem Kamin zeigte die Gedanken von Kindern und Jugendlichen zu den Lebensgeschichten. Über eine kleine Treppe erreichte man den Ausstellungsraum. Die Portraits konnten vor offenen Backsteinwänden für sich stehen. Die Interviewhefte luden dazu ein, die Lebensgeschichten in Ruhe kennenzulernen. Der Ausstellungsraum war mitten in der Stadt, durch eine große Fensterscheibe einsehbar. Und so sind neben anderen Studierenden von Tag zu Tag immer mehr Bürger*innen – von Nachbarskindern, über Lehrer*innen und mehrere Schulklassen, hin zu einem Zeitzeugen aus Hildesheim – vorbeigekommen. Die Studierenden schufen einen Raum des Dialogs für unterschiedlichste Zielgruppen.
Eröffnet wurde die Ausstellung am Montag mit dichterischen Gedenkformen zweier Generationen, Gedichten von Häftlingen aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen und poetischen Beiträgen junger Menschen, die sich im Heute mit Fragen des Erinnerns auseinandersetzten. Mit einem Vortrag von Maren Droldner zur Verfolgung und Entrechtung von Jüdinnen und Juden in Hildesheim, kamen wir am Dienstagabend unserem Wunsch nach, auch einen lokalhistorischen Bezug herzustellen. Bei einem Kamingespräch am Donnerstagabend diskutierten Sarah Hüttenberend und Wiebke Siemsglüß mit Dietmar Sedlaczek, Leiter der Gedenkstätte Moringen, über Zeitzeugenschaft, biographisch-narrative Bildungsarbeit und die Herausforderungen, die sich gegenwärtig und zukünftig ergeben.
Über die Woche besuchten unterschiedliche Menschen die Ausstellung. Für mich war das Beeindruckendste: die Menschen kamen immer wieder. Die meisten haben wir sowohl bei einer Abendveranstaltung als auch bei einer der Führungen durch die Ausstellung gesehen. Über die Zeit habe ich die Studierenden in ihren Planungen begleitet und es war schön zu sehen, wie sie mit Staunen und Neugierde feststellten, dass das, was sie geplant hatten, auch tatsächlich umgesetzt wurde. Und so fuhr ich jeden Tag mit Freude zu den Räumen, um zu hören, welche Begegnungen sie tagsüber gemacht hatten und um eine neue Abendveranstaltung zu verfolgen.
Unser besonderer Dank gilt Sarah Hüttenberend. Für sie war es die letzte Ausstellung, die sie begleitete, bevor sie die Teamleitung an Wencke Stegemann übergeben hat. Sie ließ die Studierenden an ihren jahrelangen Erfahrungen teilhaben und motivierte sie auf ihre ganz eigene Art. Und für sie schloss sich ein Kreis, so meine ich aus den Gesprächen mit ihr vernommen zu haben; ein Kreis zwischen der Studentin, die damals angetrieben von dem Wunsch war, auf das heutige Leben der Überlebenden der Shoah in Israel aufmerksam zu machen, und zwischen der Begegnung mit meiner Studierendengruppe, die in Zusammenarbeit mit ZWEITZEUGEN e.V. diese Lebensgeschichten weitertrugen und damit zu einem aktiven Erinnern in Hildesheim beigetragen haben.
Die Veranstaltungswoche wurde möglich durch eine Förderung der Abteilung für Allgemeine Erziehungswissenschaft der Universität Hildesheim und die VGH Stiftung.
Rückblick von Wiebke Hiemesch