Zeitzeuge Heinz Hesdörffer gestorben
Heinz' Geschichte
Heinz Hesdörffer wurde am 30. Januar 1923 in Bad Kreuznach geboren. Er überlebte als einziger seiner Familie die Verfolgung durch die Nationalsozialisten und erlebte als junger Mann die Konzentrationslager Westerbork, Theresienstadt, Auschwitz-Birkenau, das Außenkommando Schwarzheide und Sachsenhausen-Oranienburg. Bis zu seinem Lebensende sprach er mit jungen Menschen, setzte sich dafür ein, dass seine Geschichte gehört und damit die Geschichte der Schoah nicht vergessen wird und wurde am 14. Dezember 2018 schließlich für sein Lebenswerk mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.
Wir erinnern uns an Heinz Hesdörffer
Sarah
Wie soll man von dem Unaussprechlichen berichten? Wie Worte finden, für etwas, für das Worte nicht ausreichen? Viele Überlebende haben nach ersten Versuchen zu reden, lange Zeit geschwiegen – teilweise nie wieder darüber gesprochen. Heinz Hesdörffer jedoch hat etwas sehr Ungewöhnliches getan: Er schrieb unmittelbar nach der Befreiung seine Erinnerungen auf, veröffentlichte diese dann 1998 unter dem Titel »Bekannte traf man viele … Aufzeichnungen eines deutschen Juden aus dem Winter 1945/46« und nutzte dieses Werk als Sprachrohr, wenn ihm die Sprache fehlte. So lernten wir ihn kennen. Es war ihm unglaublich wichtig, dass Menschen, insbesondere junge Menschen, von seiner Geschichte erfuhren.
Bis zu seinem Tod sprach er mit Gruppen, ermahnte, dass so etwas nicht noch einmal passieren dürfte und war auch sofort bereit, mit uns zu sprechen. Jedoch nur nach vorheriger Lektüre seines Buches. Während unseres Interviews verwies er immer wieder auf dieses schriftliche Zeugnis, so dass das Interview zunächst anders als erwartet verlief und wir etwas ratlos zurückblieben. Für unsere Bildungsarbeit nutzen wir normalerweise Interviews, die das Erlebte in Form eines Gesprächs schildern. Die Sprache des*der Überlebenden, die Möglichkeit, selbst Fragen stellen zu können, die insbesondere Kinder interessieren, ist wichtig, wenn wir die Geschichten als Zweitzeug*innen weitererzählen. Doch Herr Hesdörffer unterbrach immer wieder mit den Worten: »Das haben Sie doch in meinem Buch gelesen«.
Entsprechend angespannt betrat ich sein Zimmer in der Seniorenwohnanlage Henry und Emma Budge-Stiftung in Frankfurt-Seckbach für unseren zweiten Gesprächstermin.
Wir hatten sein Buch dabei, kannten dessen Inhalt und erklärten ihm dennoch direkt zu Beginn, warum es uns wichtig sei, einzelne Antworten noch einmal von ihm selbst zu hören. Wir sagten ihm jedoch auch, dass wir es verstehen würden, wenn er bestimmte Erlebnisse nicht noch einmal aussprechen könne. Dies sei ungewöhnlich, aber er würde es versuchen, entgegnete Herr Hesdörffer. Und damit begann ein für mich ganz besonderes Interview. Denn mit diesem gemeinsamen neuen Start konnten wir uns gegenseitig neu hören. Herr Hesdörffer verstand unsere Fragen besser, wir sein Schweigen. Ich weiß noch genau, wie sehr er mich damals beeindruckt hat – sowohl in den Momenten, in denen er den Mut hatte, aus seinem üblichen Erzählmuster herauszutreten, als auch in den Momenten, in denen er dies nicht tat. Wir konnten im Nachhinein seine Erzählungen durch sein schriftliches Zeugnis ergänzen. Viel aussagekräftiger sind für mich persönlich jedoch die Momente, in denen er nichts sagte. Es gibt nun einmal keine Worte für das, was dieser unglaublich starke Mann erleben musste. Er konnte einiges direkt aufschreiben, ein wenig davon später so oft es möglich war erzählen und doch bleibt so viel unaussprechlich.
Janika
Die zwei lebendigsten Erinnerungen, die ich an Herrn Hesdörffer habe, sind beide bei Besuchen in der Budge-Stiftung entstanden. Als ich ihn das erste Mal traf, ging ich alleine in seine kleine Wohnung, um von ihm eine Unterschrift einzuholen. Gleich als Erstes fiel ihm auf, dass wir im gesamten Dokument seinen Namen falsch geschrieben hatten: Hessdörfer statt Hesdörffer. Was für ein peinlicher Fehler! Aber er blieb ganz entspannt und ruhig, schaute sich trotzdem den Rest des Dokuments an und gab mir dann sein Einverständnis – solange ich nur daran denken würde doch bitte seinen Namen richtig zu schreiben. Was ich ihm natürlich hoch und heilig versprach. Ich war sehr beeindruckt von seiner Reaktion – ich hätte es auch verstanden, wenn er ungehalten gewesen wäre. Stolz erzählte er mir im Anschluss von Schulbesuchen und Terminen mit wichtigen Menschen. Es wurde klar, wie wichtig es Herrn Hesdörffer war, dass die Menschen ihm zuhörten und ihn ernst nahmen. Dieses Gefühl haben wir ihm bei ZWEITZEUGEN e.V. immer zu vermitteln versucht.
Das letzte Mal, als ich Herrn Hesdörffer sah, war zugleich das Lustigste. Herr Hesdörffer weigerte sich nämlich mit unserer Besuchsdelegation zu reden, bis wir ihm Kompott aus der Küche beschafften. Meine hilflosen Nachfragen bei der Rezeption ergaben aber, dass der Speisesaal geschlossen war und in der Cafeteria wurde kein Kompott verkauft. Aber Herr Hesdörffer ließ nicht locker und so schaffte ich es mit Hilfe von Herr Dietrich von der Budge Stiftung, den ich für die Kompott-Beschaffung gewann, bis in die Küche vorzudringen und dort die noch arbeitenden Küchenfrauen um Kompott zu bitten, den sie mir lachend gaben. Herr Hesdörffer war sehr zufrieden mit mir und dem Kompott und ich werde nie vergessen, wie er es erfolgreich schaffte zu bekommen, was er wollte – auch wenn es in diesem Fall nur Kompott war.
Herr Hesdörffer war ein willensstarker, schlauer und sehr engagierter Mann. Wir werden ihn immer in unserer Erinnerung bewahren und seine Geschichte weitertragen.