Auf einen Kaffee mit Janika Raisch

Janika ist 25 Jahre alt, wohnt in Uppsala (Schweden) und studiert dort gerade im Masterstudiengang Holocaust- und Genozidstudien. Davor hat sie in Heidelberg und Berlin gelebt und studiert, aber eigentlich kommt sie aus einem Dorf bei Stuttgart. Neben ihrem Ehrenamt bei ZWEITZEUGEN e.V., arbeitet sie als Studentische Hilfskraft bei einer Abgeordneten im Bundestag.

Janika, was sind deine Aufgaben im Verein?

Janika Raisch: Ich war bis Anfang 2021 mehrere Jahre die Teamleitung von Team Zeitzeugenarbeit. Mittlerweile haben wir das Team Zeitzeug*innen in das Team Interviews integriert. Dort bin ich nun Subteamleitung mit weiterhin ähnlichen Aufgaben, aber weniger administrativer Verantwortung.

Was macht unser Subteam? Wir halten mit allen Zeitzeug*innen, die wir interviewt haben, Kontakt oder mit ihren Familien. Dafür begleite und unterstütze ich die Vertrauenspersonen und unser Postamt, welches die Schüler*innenbriefe verschickt. Andererseits versuche ich die Zeitzeug*innen und ihre Interessen und Perspektiven auch bei neuen Prozessen von anderen Teams im Verein mitzudenken – als so eine Art »Zeitzeug*innenbeauftragte«. Darüber hinaus arbeite ich eng mit den Teamleitungen Interviews und Wissenschaft zusammen in unserer Taskforce zur Erstellung der Interview-Magazine.

Wie bist Du zu ZWEITZEUGEN e.V. gekommen, in welchem Team warst Du bereits und warum hast Du Dich nun für Zeitzeugenarbeit entschieden?

In den Semesterferien zwischen meinem ersten und zweiten Bachelorsemester 2015 saß ich in derf Bibliothek und war – anstatt zu lernen – auf ZEIT Online und habe dort den Artikel über Sarah, Rudi und Kathi und ihre Arbeit bei HEIMATSUCHER gelesen. (Anmerkung d. Red: ZWEITZEUGEN e.V. hieß früher HEIMATSUCHER e.V.) Für mich war sofort klar: Da will ich mitmachen. Also habe ich angerufen – und ein paar Monate später saß ich bei Sarah in der Küche und war ich die erste Praktikantin des Vereins. Seitdem bin ich dabei. Zuerst war ich durch mein Praktikum überall dabei und danach war ich erstmal verantwortlich für den Newsletter und für Facebook, zwischendurch auch für unsere betterplace-Seite und Website. Dann hat Sarah mich einfach eines Tages angerufen und gefragt, ob ich mir eine Teamleitung vorstellen könnte und ich hab zugesagt. Die letzten vier Jahre war ich dann Teamleitung Zeitzeug*innen – und seit Frühjahr 2021 Subteamleitung Zeitzeug*innen.

Was macht die Arbeit für ZWEITZEUGEN e.V. für Dich persönlich so besonders?

Durch meine Arbeit in diesem Team hatte und habe ich das Privileg regelmäßig Zeitzeug*innen zu treffen und ihnen von unserer Arbeit zu erzählen sowie sie und ihre Lebensgeschichten kennenzulernen. Das ist für mich jedes Mal eine einzigartige Begegnung. Außerdem merke ich, dass unser Ansatz, nämlich klar zu machen, was der Holocaust mit heute zu tun hat, einfach so wichtig ist – und wirkt. Das beeindruckt und bestätigt mich immer wieder.

Zeitgleich verdanke ich dem Verein und vor allem dem großartigen Vorstand, dass ich als Teamleitung so viel Handlungsspielraum und Freiheiten für eigene Ideen habe und selbst ein Team von Ehrenamtlichen anleiten darf. Dadurch habe ich so unglaublich viel gelernt. Ich glaube, es gibt wenige Ehrenämter, in denen einem so viel zugetraut wird und man auch noch so gefördert wird.

Ich liebe die positive Energie, Motivation, gegenseitige Wertschätzung und Begeisterungsfähigkeit in unserem Verein – ich habe so viele lustige, kluge und mitreißende Persönlichkeiten kennenlernen dürfen. Dafür bin ich sehr dankbar. Außerdem hat der Verein auch meine akademischen Interessen geprägt – ohne mein Ehrenamt im Verein würde ich jetzt sicher nicht Holocaust- und Genozidstudien studieren.

An welchen aktuellen Herausforderungen arbeitest Du als Subteamleitung Zeitzeug*innen?

In unserem Team standen wir immer vor der Herausforderung neue Interviewpartner*innen zu finden – dann mussten wir uns der Realität stellen, dass wir zu viele Interviews führen und diese ehrenamtlich nicht schnell genug zu Magazinen aufarbeiten können, um sie noch den Zeitzeug*innen zu zeigen bevor sie sterben. Unser Verein ist sich seiner Verantwortung gegenüber den Zeitzeug*innen, die wir interviewen, sehr bewusst und deswegen haben wir aktuell eine Interview-Pause eingelegt, damit wir die bisher geführten Zeitzeug*innen-Interviews fertig aufbereiten können.
Darüber hinaus stellen wir uns natürlich die Frage, ob wir in der Zukunft – ohne Zeitzeug*innen – als Verein weiter Interviews führen möchten und wenn ja mit wem und über was wir sprechen möchten.

Welche Begegnung in Deiner nun schon langen Zeit beim Verein hat Dich am meisten beeindruckt?

Das ist wirklich sehr, sehr schwer zu sagen. Es waren so viele. Natürlich denke ich sofort an alle Zeitzeug*innen, die ich treffen durfte: Henny Brenner, Siegmund Pluznik, Bert Max Silbermann, Gerda Rosenthal, Heinz Hesdörffer, Margot Friedländer durfte ich in Deutschland treffen und Herta Goldman, Grete Hamburg, Shoshana Maze, Frieda Kliger in Israel sowie Dr. Leon Weintraub in Stockholm.

Die Begegnung mit Sister Mary, einer Schwester, die in einem Zentrum beim ehemaligen KZ Auschwitz arbeitet, hat mich nachhaltig geprägt. Sie hat – neben vielen anderen klugen Dingen – folgendes gesagt: »It is not enough to say ’never again‘. You have to take responsibility in your life today to make sure it never happens again.« Und das versuche ich.

Was wünscht Du Dir für die Zukunft des Vereins?

Ich wünsche mir, dass wir immer mehr Schüler*innen und Erwachsene mit den Geschichten der Überlebenden erreichen, dass wir wachsen, neue Dinge wagen und die Erinnerungskultur in Deutschland wachrütteln. Zugleich wünsche ich mir, dass wir als Verein und als Ehrenamtliche unser starkes Miteinander und unser Wir-Gefühl nie verlieren.

Vielen Dank, liebe Janika!