Zeitzeugin Erna de Vries gestorben

»Du wirst überleben und erzählen, was man mit uns gemacht hat.«

Jeanette Korn, Ernas Mutter

Das war ein Teil der letzten Worte von Jeanette Korn an ihre Tochter Erna. Ausgesprochen auf der Lagerstraße im Konzentrationslager Auschwitz Birkenau, kurz bevor Erna nach Ravensbrück gebracht wurde. Nach diesem Abschiedsgespräch sah Erna ihre Mutter nie wieder. Jeanette Korn wurde in Auschwitz ermordet, Erna überlebte als »Halbjüdin«. Diese letzten Worte nahm Erna sich ihr Leben lang zu Herzen. Sie sprach seit den 90ern über ihre Erlebnisse, über die Zeit der Verfolgung und Ausgrenzung in Kaiserslautern und Köln, über harte Arbeit und den dringenden Wunsch immer mit ihrer Mutter zusammen zu sein. 

1923 in Kaiserslautern als einzige Tochter einer Jüdin und eines Katholiken geboren, verstarb ihr Vater bereits 1931. Repressalien der Nationalsozialisten und die beginnende Verfolgung schränkten das Leben der Frauen stark ein. Im Alter von 19 Jahren wurde Erna zusammen mit ihrer Mutter nach Auschwitz deportiert. Der Deportationsbefehl galt bis dato nur Jeanette Korn, doch Erna wollte in keinem Fall von der Mutter getrennt werden und so ging sie wissentlich mit in das Konzentrationslager in Polen. Sie überlebte die Grauen durch eine Verlegung in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, wo sie Zwangsarbeit leistete. Nach der Befreiung aus einem Todesmarsch ging sie nach Köln, wo sie ihren späteren Ehemann Josef de Vries kennen lernte. Auch er überlebte den Holocaust als jüdischer Mann, verlor dabei seine erste Frau und ein Kind. Erna und Josef zogen nach Lathen, Josefs alter Heimat. Dort gründeten sie eine Familie mit drei Kindern und blieben. 

Ich traf Erna das erste Mal 2011, damals in einem Seminar in der Uni. Danach besuchten wir sie vom Verein aus 2012 in ihrem Haus in Lathen und sie teilte mit uns ihre Lebensgeschichte. Seitdem besuchte ich sie regelmäßig und begleitete immer wieder auch ihre zahlreichen Vorträge in ganz Deutschland. Sie war für mich und für unseren Verein die erste Zeitzeugin, die wir gesprochen haben, die sich bewusst entschieden hatte, in Deutschland zu bleiben. Eine beeindruckende Frau. Klein, zierlich und immer fein gemacht, klug weltoffen und nie einer Antwort verlegen. Ordentlich und mit klaren Vorstellungen was Vorträge, ihren Haushalt und ihr Leben anging. Eine Frau die stolz auf ihre Kinder und Enkel war und die mit Freude von ihren Katzen berichtete. Erna war eine Konstante. Bis Anfang 2020 ging sie oft in Schulen und erzählte von ihrem Leben, sie war immer wieder auch zu Medienauftritten bereit und wirkte dabei immer beeindruckend gefasst. Es stimmt mich traurig, dass ich sie nun durch die Corona-Pandemie nicht mehr besuchen konnte. Am Vereinsleben ließen wir sie trotzdem immer weiter teilhaben.
Wir alle sind dankbar, dass sie uns ihre Geschichte erzählt hat und wir diese nun weitertragen dürfen. Nun werden wir erzählen. Versprochen Erna! 

Katharina Müller-Spirawski

Kennenlernen, Erinnern, Weitergeben

Über Erna de Vries

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