Schwester Johanna

»Mitten in der Welt zu sein, unter den Menschen, von ihnen durch nichts unterschieden, sondern für sie da zu sein.« Dies war eine Überzeugung und Lebenseinstellung von Schwester Johanna und beschreibt – sehr passend – wie wir diese offene, lebensfrohe, hilfsbereite und starke Frau erlebt haben. Unser Treffen mit Schwester Johanna war wunderschön und hat uns tief beeindruckt.

Kurzbiografie

»Unser Rüthchen bleibt ein Jüdchen«, dieser Satz prägte die Kindheit von Schwester Johanna, geborene Ruth Eichmann. Als Tochter einer jüdischen Mutter und eines katholischen Vaters wuchs Schwester Johanna glücklich mit beiden Religionen auf. Sie führte ein traditionelles jüdisches und katholisches Leben. Der Besuch der Synagoge stellte für die Familie kein Problem zum Besuch des katholischen Kindergartens dar. Die Weitsicht der im Sterben liegenden jüdischen Oma, die zum Schutz ihrer Enkelin 1933 ihre Taufe veranlasste, rettete Schwester Johanna durch die nationalsozialistische Diktatur. Aus Überzeugung und aufgrund der positiven Erfahrungen im Kloster trat sie später selbst dem Orden der Ursulinen bei, ohne dabei den Stolz auf ihre jüdische Herkunft zu verlieren.

»Man kann Glauben nicht erzwingen. Und ich glaube, dass wenn wir an Gott glauben, dass wir auch verpflichtet sind, an den Nächsten als ein Geschöpf Gottes zu glauben. Mit all seinen Fehlern und mit all seinen Schwächen.«

Schwester Johanna

Ein Bild zum Weiterleben

Es war ein ganz besonderer Moment, als wir von Schwester Johanna durch das Kloster der Ursulinen in Dorsten geführt wurden. Stundenlang hatten wir zuvor miteinander geredet und mehr und mehr von dem Leben und Überleben dieser beeindruckenden und starken Frau erfahren. Als wir schließlich in dem auf dem Foto sichtbaren Flur ankamen, überkam uns eine große Gänsehaut. Schwester Johanna erzählte, dass dies der einzige Teil des Gebäudes sei, der die Bombardierungen überlebt hatte und an vielen Stellen noch genauso aussähe wie damals, als sie als junges Mädchen im Kloster war und hier von den Ordensschwestern geschützt wurde. Das Kloster spiegelte für Schwester Johanna stets ihren Ort wieder: hier fühlte sie sich geborgen, angenommen, nicht beurteilt, geliebt. Hier fühlte sie Frieden. Noch lange standen und sprachen wir in diesem Flurabschnitt, der ihre Geschichte vor unseren Augen lebendig machte und uns verdeutlichte, welch große Bedeutung ihr Glaube an Gott und die Geborgenheit der Ursulinen für ihr Weiterleben hatte. Hier war Ihr Zuhause und ihr Frieden spürbar.

Unsere Begegnung

Sie ist uns ohne jegliche Vorbehalte begegnet. Wir haben eine Frau getroffen, die Furchtbares erlebt hat. Sie spürte den Judenhass am eigenen Leib, verlor ihre jüdische Familie und lebte über viele Jahre unter steter Angst. Aber Schwester Johanna hat auch eine Vielzahl an herausragenden und mutigen Menschen kennengelernt, die sich in Gefahr brachten, um ihr Schutz zu bieten. Schon ab dem frühesten Kindesalter bot ihr das Ursulinenkloster Schutz vor den Nazis und lehrte sie, den Nächsten zu lieben, Dinge in Frage zu stellen und für die Gemeinschaft zu handeln. Das Kloster und die Ordensschwestern haben ihr die Möglichkeit gegeben, zu sich selbst zu finden. Hier konnte sie frei sein, wurde geliebt, unabhängig von ihrer Herkunft. Somit hat es uns auch nicht überrascht, dass Schwester Johanna für sich ein Leben als Schwester im Kloster wählte, welches für sie stets ein liebevolles und sicheres Zuhause war. Dies war auch bei unserem Treffen spürbar – das Kloster war ihr Ort. Gemeinsam gingen wir durch den alten Gang des Gebäudes, durch den Schwester Johanna schon als kleines Mädchen lief und vor unseren Augen wurde ihre Geschichte lebendig.
Schwester Johanna berichtete sehr bildhaft von ihren Erlebnissen, beschrieb Situationen sehr genau und machte sie damit spürbar für den*die Zuhörer*in. Seinen Ort im Leben zu finden, so erklärte uns Schwester Johanna, ist nach jüdischem Verständnis identisch damit, auch Gott gefunden zu haben. Und wir merkten ihr diesen inneren Frieden an: Sie war lebensfroh, lachte mit uns, erzählte uns Witze. Sie beantwortete unsere Frage, ob sie glücklich sei, mit einem klaren und überzeugten »Ja!«. Wenn man bedenkt, was sie erlebt hat und welch hoch engagiertes (vielleicht auch anstrengendes) Leben sie führte, war diese Antwort für uns doch überraschend. Gleichzeitig verstanden wir im Verlauf des Gesprächs, wie stark persönliche Erlebnisse einen Menschen prägen. Ihre Lebensgeschichte fügte sich nach und nach zu einem Ganzen zusammen. Wenn wir an dieses Treffen mit Schwester Johanna zurückdenken, macht sich wieder ein Lächeln in unserem Gesicht breit. Wir sind sehr froh und dankbar, Schwester Johanna kennengelernt zu haben und wünschen jedem, so anzukommen wie sie es war.

Schwester Johanna ist im Dezember 2019 verstorben. Sie wird uns sehr fehlen. Lies hier ihren Nachruf.

Kennenlernen, Erinnern, Weitergeben

Schwester Johannas ganze Geschichte für Zuhause

Das ganze Interview und alles zum Leben von Schwester Johanna findest Du im Interview-Magazin. Wir durften die Zeitzeug*innen in ihrem Zuhause besuchen und zu ihrer persönlichen (Über)Lebensgeschichte befragen. Wir übernehmen damit einen Teil der Verantwortung, die Erlebnisse der Zeitzeug*innen ›Gegen das Vergessen‹ zu bewahren. Das gesamte Interview und alles rund um die Geschichten fassen wir unseren Magazinen zu jeder einzelnen Geschichte zusammen. 

Zur Magazin-Bestellung