›Shoah‹ oder ›Holocaust‹?
ZWEITZEUGEN e.V. verwendet »Holocaust und »Shoah, um den Massenmord an den europäischen Jüd*innen durch das nationalsozialistische Deutschland zu bezeichnen. Der hebräische Begriff »Shoa« scheint angemessener, zumal er von Jüd*innen selbst verwendet wird, aber die meisten Nicht-Jüd*innen kennen und verstehen eher den Ausdruck »Holocaust« – und um Verständigung geht es bei ZWEITZEUGEN e.V.
Um 1980 klärten insbesondere zwei Filme die breite deutsche Öffentlichkeit über den NS-Massenmord an Jüd*innen auf. Sie hätten unterschiedlicher nicht sein können: Der eine, »Holocaust«, war eine vierteilige US-amerikanische Fernsehserie mit Stars wie Meryl Streep, der andere, »Shoa«, die Low-Budget-Dokumentation eines französischen Linksintellektuellen, der sich, seiner jüdischen Wurzeln erinnernd, auf Spurensuche zu den deutschen Vernichtungslagern nach Polen begab. Beide Filme hatten – auf ihre Art – große Verdienste.
»Holocaust« schilderte das Schicksal der fiktiven jüdischen Arztfamilie Weiss aus Berlin und lud die Zuschauer zur Identifikation mit deutschen Jüd*innen ein. In einer Zeit, als es nur drei öffentlich-rechtliche Fernsehprogramme gab, erreichte er 1979 ein Riesenpublikum. Auch wenn Elie Wiesel bemängelte, der Film sei »eine aus kommerziellem Kalkül produzierte Seifenoper«: Erstmals wurde in nicht-jüdischen deutschen Familien öffentlich über den Mord an den Jüd*innen gesprochen. Der Regisseur, Marvin J. Chomsky, geboren 1929 in New York, hatte zuvor die Fernsehserie »Roots« gedreht, die in ähnlicher Weise erstmals die Geschichte schwarzer Sklav*innen in den USA thematisierte. Gefühlig, um populär zu sein – aber bahnbrechend und erfolgreich.
Ganz anders »Shoa«, ein zweiteiliger Dokumentarfilm von beeindruckenden neuneinhalb Stunden Länge: Claude Lanzmann, Jahrgang 1925, schrieb lange im Umfeld von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, deren zeitweiliger Lebensgefährte er war. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges studierte und lehrte er zunächst einige Jahre Philosophie in Deutschland, ohne seine jüdische Herkunft mit den kaum zurückliegenden Morden der Deutschen auch an französischen Jüd*innen in Verbindung zu bringen. Erst ab 1970 beschäftigte er sich mit seiner jüdischen Identität. »Shoa«, sein großes preisgeköntes Werk, erschien 1985 nach elfjähriger Arbeit. Es ist ein formal sehr ruhiger Film, der sich dem kaum fassbaren Grauen der Konzentrationslager in vielen Zeitzeug*innenberichten und langen Einstellungen nähert. Claude Lanzmann nimmt sich viel Zeit, das Geschehene einigermaßen zu begreifen, und lässt auch seinen Zuschauer*innen die Zeit. Zu dieser Herangehensweise passt gut der Titel »Shoa« (Katastrophe, Unheil), der in seiner Vagheit den anhaltenden kontroversen Debatte entspricht, ob überhaupt ein Begriff den schrecklichen Ereignissen gerecht werden könnte.
Schwieriger wirkt heute der Begriff »Holocaust« (griechisch: Brandopfer), der im Altertum die Brandopferung von Tieren bezeichnete und sich um 1900 im englischen Sprachraum als Synonym für Völkermord etablierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er zum Sammelbegriff für die NS-Judenvernichtung. Jedoch schwingt in ihm beispielsweise noch immer die ursprüngliche religiöse Bedeutung mit, als wären die NS-Morde an Juden eine bewusste Opferung, um eine Gottheit milde zu stimmen – was angesichts des sinnlosen brutalen Tötens in Auschwitz oder Treblinka sicher nicht der Fall war.
»Shoa« oder »Holocaust«? Unsere sprachliche Ohnmacht gegenüber den Ereignissen bleibt. In jedem Fall taugen beide Wörter als allgemein verständliche Arbeitsbegriffe.