Verleihung der Josef-Neuberger-Medaille
Sehr geehrte Damen und Herren, auch im Namen von HEIMATSUCHER e.V. (seit Juni 2020 ZWEITZEUGEN e.V.) möchte ich Sie herzlich begrüßen und mich bedanken.
Wir danken natürlich zuallererst der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf für diese besondere Auszeichnung. Ich weiß nicht, ob sie sich vorstellen können, wie viel uns dieser Preis bedeutet. Wir freuen uns über jede Ehrung und sind immer wieder froh und dankbar. Und doch muss ich sagen: Als Herr Szentei-Heise vor einiger Zeit bei mir anrief, um mir mitzuteilen, dass die Jüdische Gemeinde uns mit der Josef-Neuberger-Medaille auszeichnet, war meine Freude besonders groß. Dass auch in der jüdischen Community die Arbeit von HEIMATSUCHER e.V. für Erinnerung und gegen Antisemitismus so sehr wertgeschätzt wird, bestätigt und beflügelt uns.
Der Leitspruch unserer Arbeit ist ein Zitat des großen Elie Wiesel: »All jene die einem Zeitzeugen zuhören, werden selbst zu Zeugen werden.«, sagte er einst. Wir begreifen uns als Zweitzeugen, als Zeugen der Zeitzeugen. Und als Zweitzeugin mehrerer Schoah-Überlebender stehe ich heute Abend vor Ihnen: Katharina Müller-Spirawski (3. Vorsitzende und Leiterin der Bildungsabteilung)
Diese Rolle und unsere Arbeit sind für uns Herzensangelegenheit und gesellschaftliche Verantwortung gleichermaßen. Wir sind froh, dass die Jüdische Gemeinde dies wertschätzt. Seit über sechs Jahren arbeiten wir, zum größten Teil ehrenamtlich, mit drei Zeitabschnitten: der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Wir bauen Brücken zwischen diesen Zeitstücken und verbinden Menschen.
Zum einen treffen wir Schoah-Überlebende. Sie laden uns zu sich nach Hause und in ihr Leben ein. Sie nehmen uns mit in ihre Vergangenheit. Wir sitzen dabei Menschen gegenüber, deren Würde angetastet wurde, deren Leben durch Feinde der Demokratie zerstört wurde. Wir hören Überlebenden wie Rolf Abrahamsohn, Chava Wolf oder Siegmund Pluznik zu, die uns erzählen wie es war ausgegrenzt, verfolgt, und entwürdigt zu werden. Wir weinen mit ihnen und können kaum fassen.
Wir erfahren von Lagern, Verlusten und Demütigungen.
Aber die Überlebenden erzählen uns auch von ihrer noch unbeschwerten Kindheit, von besten Freunden, Lieblingsfächern in der Schule und jüdischem Leben vor der Verfolgung. Wir hören davon, wie es war nach der Befreiung weiter zu machen. Wie Heimat neu gesucht werden musste, Liebe neu zugelassen, neue Familien gegründet wurden. Wir hören vom Weiterleben. Und wir freuen uns, nehmen Anteil, schauen uns Fotos von Kindern, Enkeln und den Liebsten an. Die Vergangenheit kommt uns in diesen Treffen ganz nah. Sie bedeuten uns eine Menge und wir sind dankbar inzwischen 27 Überlebende unsere Freunde nennen zu dürfen.
Die Schoah-Überlebenden geben uns ihre Lebensgeschichte mit. Wir gestalten damit unsere Gegenwart, denn wir erzählen sie als Zweitzeuginnen und Zweitzeugen in Bildungsprojekten Kindern und Jugendlichen in ganz Deutschland. Aus unserem eigenen Geschichtsunterricht haben wir gelernt: Die Schoah kann nicht allein durch Zahlen und Fakten begriffen werden. Nur aus Geschichtsbüchern erfahren, bleibt sie sonst ein abstraktes und anonymes Thema, weit weg vom eigenen Leben.
Wir teilen die Meinung von Joachim Gauck, der sagte: Erinnern bedeutet eben nicht nur, etwas Vergangenes neu zu wissen, sondern auch, Vergangenes und Verdrängtes neu zu fühlen. [Joachim Gauck in Bauerkämper 2012, 11.]
Wir sind der Überzeugung: Erinnerung ist für unsere Gesellschaft essentiell. Vergessen keine Option. Die persönlichen Erfahrungen aus der Schoah sind eines der höchsten Güter unserer erinnerungskulturellen Möglichkeiten, wir dürfen die Stimmen der Überlebenden nicht verstummen lassen. Und wir müssen daraus lernen.
Durch die Weitergabe der Erinnerungen der Zeitzeugen wird für junge Menschen spürbar, wozu Diskriminierung und Rassismus führen können. Sie spüren in unseren Projekten die eigene gesellschaftliche Verantwortung und werden motiviert aktiv Demokratie mitzugestalten. Daran arbeiten wir seit mehreren Jahren mit Nachdruck. Inzwischen haben wir über 5000 Schüler und Schülerinnen erreicht, 27 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen getroffen und etwa 18000 Menschen haben unsere Wanderausstellung besucht.
So gestalten wir die Zukunft mit. Wir aktivieren junge Menschen der Gegenwart, um dann mit ihnen die Zukunft zu verbessern. In unserer heutigen Zeit, in der Hass- und Ausgrenzungsgedanken einen fruchtbaren Boden finden und zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkrieges eine rechte Partei im Bundestag sitzen wird, sind wir davon überzeugt, dass vor allem Aufklärung über unsere Vergangenheit dem entgegenwirken kann.
Wir möchten nicht nur zuschauen, können nicht einfach hinnehmen. Wir möchten bewegen.
„Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten.“, sagte einst August Bebel und unsere Erfahrung lehrt uns, wie Recht er damit hatte.
Wenn ich von „wir“ spreche, meine ich einen Verein bestehend aus 150 Mitgliedern und etwa 100 jungen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern. Ich danke unseren Ehrenamtlichen für ihre unermüdliche Arbeit und unseren Mitgliedern für die finanzielle und ideelle Unterstützung auf so vielfältige Weise. Ein besonderer Dank gilt außerdem unseren vielfältigen und so engagierten Kooperationspartnern, ideellen Unterstützern und finanziellen Förderern! Es freut uns, dass einige von Ihnen heute anwesend sind. Danke für Ihr Vertrauen!
Ein wichtiger Dank gebührt natürlich den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Josef Neuberger, der Namensgeber dieses Preises selbst, war einer von Ihnen. Als Überlebender kehrte er nach Deutschland zurück und arbeitete hart daran, dass Rechtsstaat und Demokratie hier gesichert sind. Dafür sind wir ihm sehr dankbar und geehrte eine Medaille mit seinem Namen tragen zu dürfen.
Dankbar sind wir natürlich auch für die wunderschöne Zeremonie und die Würdigungen dieses Abends. Danke an Carina Gödecke für die Laudatio und Ihre Anwesenheit. Sie kennen und begleiten unsere Arbeit seit mehreren Jahren und haben uns wachsen sehen. Heute nun Ihre Worte hier zu hören, hat uns sehr berührt. Vielen Dank für Ihre Wertschätzung und Unterstützung, auch schon in den Anfängen unserer Arbeit.
Danke an Herrn Dr. Horowitz, Frau Rubinstein und Herrn Ronen für Ihre wertvolle Arbeit und die Übergabe des Preises. Lieber Herr Ronen, wir trafen uns das erste Mal vor knapp einem Jahr bei der Preisverleihung im Landtag in Düsseldorf. Damals haben sie wunderbar warme Worte für gefunden und ich danke Ihnen dafür, dass Sie maßgeblich dazu beigetragen haben, dass wir uns nun heute hier wiederfinden.
Danke an Frau Hener von der Gemeinde für die Beantwortung aller Fragen und die tolle Unterstützung. Und natürlich vielen Dank Herr Szentei-Heise für die netten Telefonate und die Chance diesen Preis entgegen nehmen zu dürfen. Danke an all die Helferinnen und Helfer des heutigen Abends für Ihren Einsatz und an die Jüdische Gemeinde Düsseldorf für die Ehrung.Als wir mit unserer Arbeit begonnen haben, waren wir eine handvoll Studentinnen, mit vielen Visionen.
Dass wir für diese Ideen, diesen Preis bekommen, gibt uns großen Mut weiterzumachen. Wir freuen uns sehr, dass Sie unser Engagement als Verdienst um die jüdische Gemeinschaft empfinden, wir versprechen genauso weiter zu machen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Katharina Müller-Spirawski