80 Jahre sind nicht lange her
Am 9. November 1938, dem Tag der Novemberpogrome, spielten sich schreckliche Szenen der Gewalt und des Hasses gegenüber der jüdischen Bevölkerung auf den Straßen in Deutschland ab. Synagogen und Geschäfte jüdischer Besitzer brannten, Menschen jüdischen Glaubens wurden gedemütigt, geschlagen und auch getötet.
80 Jahre später haben wir diese Bilder der Zerstörung im Kopf und gedenken still, jede für sich, den Opfern, als wir am 9. November 2018 die Lebensgeschichten und Porträts von unseren Zeitzeug*innen Schwester Johanna, Djordje Alpar und Chava Wolf in der Katholischen Kirchengemeinde St. Antonius und Benediktus in Düsseldorf aufhängen.
Einen Tag später, am 10. November, eröffnete unsere Ausstellung »HEIMATSUCHER – eine Ausstellung mit Überlebensgeschichten der Shoa für eine Welt ohne Rassismus«. Als einer der Gastgeber der Vernissage betonte Msgr. Wilhelm Terboven in seiner Rede die Wichtigkeit solcher junger Projekte, die sich dem Erinnern widmen. Dies sei vor allem jetzt wichtig, da sich die Weltlage wieder auf schiefer Ebene befände und menschliche Werte ins Rutschen gekommen seien.
Auch Sarah Hüttenberend ging bei ihren Eröffnungsworten auf das aktuelle Weltgeschehen ein. 80 Jahre, das sei schließlich nicht lange her, und wenn wir heute sehen, dass Hass wieder öffentlich geäußert wird und wieder in Gewalt umschlägt, stellt sich die Frage: Was können wir tun? Sarahs Antwort darauf war, die Besucher*innen der Vernissage zu ermutigen, genau denjenigen, die sie verunsichern, in die Augen zu blicken und sich die Zeit zu nehmen, den anderen kennenzulernen. Denn das schaffe Nähe. Sie bat dann alle Gäste aufzustehen, sich eine*n Partner*in zu suchen und dieser*m für eine halbe Minute schweigend in die Augen zu schauen. Es hatte zum Teil etwas Unbeholfenes, mit Fremden für dreißig Sekunden Blickkontakt herzustellen. Viele hatten das Bedürfnis, etwas sagen oder wegschauen zu wollen. Es erfordert Überwindung, Nähe und Spannung auszuhalten. Und es ist eben diese Überwindung, von der man sich wünscht, dass sie viele Menschen aushalten, damit wir als Gesellschaft stark und offen und nächstenliebend agieren können.
Wencke Stegemann, die die Leitung des Teams Ausstellung & Veranstaltungen in diesem Jahr neu übernommen hat, ging sehr persönlich auf das Thema Erinnern ein. Denn ihr Großvater, der im Krieg Soldat war, hatte vor allem einen Grundsatz: Erzählen hilft heilen. Sie sprach davon, dass er ihr schon als Kind von all den Schrecken des Kriegs erzählt habe. Das habe ihm geholfen, aber auch ihr. Denn durch die persönlichen Eindrücke des Großvaters habe Wencke selbst die Vergangenheit besser verstehen können. Auch das Zuhören heile. Und genau das sei unser Verein für sie: Erzählen und Zuhören – und beides habe die Kraft zu heilen.
Als Teamleiterin ging sie aber auch auf Internes in ihrer Rede ein. Diese Ausstellung wurde nämlich von einem komplett neu besetzten Team geplant und aufgebaut.
Beim Lauschen der Orgelmusik, bei der Lesung der Schüler*innen-Briefe an unsere Zeitzeug*innen, die im Rahmen von Schulworkshops entstanden waren und an diesem Abend laut von Nefeli Kavouras vorgelesen wurden, bei den Reden und bei der anschließenden Führung von Vanessa Eisenhardt, Leiterin von Team Bildung, durch die Ausstellung konnte ein wunderbares Gedenken geschaffen werden.
Für uns als neues Team war die Ausstellung eine Herausforderung, bei der wir alle an uns selbst, aber vor allem als Team zusammen gewachsen sind. Viele von uns haben dabei zum ersten Mal eine Ausstellung betreut. Wir sind noch im Lernprozess. Umso schöner ist es, dass jede von uns sich einbringen konnte, um als Team etwas zu schaffen. Abgesehen davon, dass die Ausstellung an sich für die Teammitglieder eine Premiere war, gab es ebenso innerhalb der Ausstellung Premieren: Da ist zum Beispiel ein selbstgebauter schöner hölzener Briefkasten, in den Besucher*innen Nachrichten an Zeitzeug*innen einwerfen können, die wir dann direkt an diese weiterleiten. Und es gibt neuerdings auch ein Magazin mit den Schüler*innenbriefen, die diese an die Zeitzeug*innen schrieben. Die Besucher*innen der Ausstellung sind herzlich eingeladen, darin zu lesen.
Wir haben während des Aufbauprozesses gemerkt: Eine Ausstellung zu organisieren bedarf etlicher kleiner Schritte, auch vieler, denen wir uns vorher nicht bewusst waren. Eine Ausstellung funktioniert aber vor allem durch helfende Hände. Deswegen gilt es, Dank auszusprechen. Zum einen an Michael Dederichs und Msgr. Wilhelm Terboven, unsere Ansprechpartner für die St. Antonius und St. Benediktus Kirche, die uns vertraut und willkommen geheißen haben. Denn auch, wenn wir in der Kirche natürlich keine Nägel an die Wände klopfen konnten, fühlten wir uns sehr frei darin, die Ausstellung aufzubauen, und das ist keine Selbstverständlichkeit. Zum anderen danken wir Frau Dr. Prof. Brigitte Mandt, Vorsitzende des Vorstandes der Israelstiftung Deutschland, die die Schirmherrschaft für die Ausstellung übernimmt, was für uns eine große Ehre ist.
Für uns gilt jetzt: weiterplanen. Die nächste Ausstellung in Oldenburg eröffnet schon am 13. Januar 2019 und wir freuen uns, die Geschichten und Porträts unserer Zeitzeug*innen noch an vielen anderen Orten präsentieren zu dürfen.
Wer sich die Ausstellung nicht entgehen lassen möchte: Sie findet noch bis zum 18. November 2018 in der Kirchengemeinde St. Antonius und St. Benediktus in Düsseldorf Oberkassel statt und ist täglich von 9 bis 18 Uhr begehbar. Wir freuen uns aber auch, wenn wir Dich bei der Finissage am 18. November um 19 Uhr begrüßen dürfen. Da wird dann unser Film »Auf gute Nachbarschaft« gezeigt. Simone Hüttenberend, die Macherin des Films, freut sich auf ein spannendes Gespräch mit dem Publikum.
Autorin: Nefeli Kavouras